Eine „richtige Unterm-Dach-Geschichte“ bot mir Gertraude Morgenstern per E-Mail schon im vergangenen Jahr an. Die 82-Jährige hatte bereits eine ganze Weile damit geliebäugelt, ihre Wohnung in der sechsten Etage eines 20 Jahre alten Neubaus im Leipziger Stadtteil Reudnitz von mir ablichten zu lassen. Beim Betreten spüre ich sofort, dass es sich hier um ein besonderes Schmuckstück handelt.
360-Grad-Panorama
Studium, Sprachen und Gesang
Die Rentnerin kam in Olbernhau/Erzgebirge auf die Welt und wuchs in einem Elternhaus auf, in dem es viele Bücher und Instrumente gab. 1954 verließ sie ihre Heimatstadt Karl-Marx-Stadt und ging wegen des Studiums der Slawistik in die Messestadt. Mit einem Häuflein Kommilitonen, so erzählt sie, sang die junge Frau in einem Chor, dessen Leiter ein Auge auf sie warf. Der gebürtige Dresdner wurde später ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder. Er verstarb leider unerwartet im Dezember 2018 – sein Musikzimmer mit einem Klavier und vielen Schallplatten erinnert an den ehemaligen Leiter des Zentralhauses für Kulturarbeit der DDR. Während ihr Mann ständig auf Reisen war, arbeitete die vierfache Mutter als Übersetzerin – anfänglich an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und später an der Hochschule für Binnenhandel. „Ich hätte lieber Kunstgeschichte studiert. Schon in der Grundschule besuchte ich einen Zeichenzirkel und in der elften Klasse war ich fasziniert vom Albertinum in Dresden“, plaudert die alte Dame mit ein bisschen Wehmut in der Stimme.
Ein Leben für die Kunst
Nach 33 Jahren hängte sie ihren Job an den Nagel und ging als Aufsicht ins Georgi-Dimitroff-Museum im damaligen Reichsgerichtsgebäude, später bewachte sie die Bilder im Museum der bildenden Künste Leipzig. Seitdem pflegt sie ihr Faible für die Kunst auf ihre eigene Art und Weise. Als sie die Künstlerin Catherine Scholz aus der Lehmhaus-Galerie Zwenkau kennenlernt, öffnet sich eine neue Tür. Ein Ölbild der Künstlerin Alexandra Bonin, das der Rentnerin viel bedeutet, hängt über dem Bett ihres Mannes. Und wenn Gertraude morgens aufwacht, freut sie sich, die Katzen-Bilder der Leipziger Malerin Angelika Rochhausen als erstes zu sehen. Auch die Keramikerin Marie Helbig verehrt sie – deren Stockvasen schmücken das Wohnzimmer.
Blick ins Wohnzimmer
„Manchmal bin ich wie elektrisiert – von Frida Kahlo oder dem jungen Willi Sitte“, erzählt die leidenschaftliche Kunstliebhaberin. Seit ihrem 80. Geburtstag pflegt sie eine ganz besondere Verbindung zu einem iPad: Sie kommuniziert über das Tablet mit ihren Kindern, schickt Fotos aus den eigenen vier Wänden und informiert sich über Aktuelles. Neues und Altes gibt es auf den 70 Quadratmetern Wohnfläche zu sehen. Viele Möbel stammen aus früheren Haushalten, vom Flohmarkt oder sind Erbstücke. Aber alles wird überstrahlt von den unzähligen Bildern, Grafiken und Radierungen an den Wänden.
Eine einzigartige Atmosphäre hat diese wunderschöne Wohnung, so viele großartige Bilder.
Die „Frau mit Katze“ möchte ich sofort haben …