Kunst zum Anfassen

Das Ehepaar Jochen und Ruth Stammnitz, das seit 20 Jahren verheiratet ist, wohnt im sachsen-anhaltischen Bitterfeld in einem Haus aus den Dreißigerjahren. Beide lernten sich an der Erweiterten Oberschule in Torgau kennen, später trafen sie sich wieder und entdeckten ihr Herz füreinander. Mein Gastgeber ist 66 Jahre alt und seine Frau feierte Ende Juli ihren 65. Geburtstag.

Museum der Dinge

Das dreistöckige Wohnhaus misst 265,8623 Quadratmeter, weiß der Hausherr und lacht verschmitzt. „Eigentlich ist es ein Museum der Dinge. Aber die Kunst kann jeder anfassen, ohne dass es Alarm gibt“, sagt er und nimmt eins der unzähligen Bilder von der Wand, die in Petersburger Hängung das ganze Treppenhaus schmücken. Der ehemalige Diplom-Sportlehrer, Agenturleiter und leidenschaftliche Reiseleiter hat seine Schätze aus Malerei, Fotografien, Grafiken, Plastiken und Artefakte in einem Zeitraum von sechs Jahren gesammelt. „Kitsch gibt es bei mir nicht“, und zeigt auf den lilafarbenen Balloon-Dog nach Jeff Koons im Regal. „Geschichte wird bei mir nicht verramscht, sondern bewahrt.“ Josta, wie ihn alle nennen, kennt die Sperrmüllhändler von Bitterfeld bis Leipzig aus dem Effeff und fehlt auf keiner Kunstauktion. Wenn ihm ein Werk gefällt, nimmt er es mit und bewahrt es als Zeitdokumente unter seinem Dach auf.

Auf den Spuren der Meister

Gemeinsam mit seiner Ehefrau, einer ehemaligen Chirurgin, war er weltweit auf Reisen – von Dubai über Israel bis Mexiko. Allein im Vorjahr hat Josta 21 Länder bereist, dienstlich und privat. Bevor das Coronavirus die Ländergrenzen dicht machte, waren die beiden in Thailand und Singapur unterwegs. „Vor zwei Jahren wandelte ich mit Ruth im Süden Frankreichs auf den Spuren von Vincent van Gogh. Beeindruckend war die Zeit in Arles, wo der Maler unzählige Werke schuf und später in einer Irrenanstalt saß“, plaudert Josta, der in Belgern geboren wurde und mit 16 Jahren nach Leipzig kam, um als 400-Meter-Hürdensprinter erfolgreich zu werden.

Sammelsurium

Vor seinem „magischen Zimmer“ stoppt er und warnt mich vorm Eintreten. Völlig zu Unrecht, denn ich bin seit knapp acht Jahren auf Hausbesuchen und habe schon so einiges gesehen. Sein Sammelsurium hinter dieser Tür schockt mich also keinesfalls. Ich stehe in einem Archiv mit Grafikmappen und Bildern, die zwar gesichtet und datiert werden konnten, aber noch keinen passenden Platz gefunden haben. „Bei einer Kunstauktion habe ich ein Stillleben der Leipziger Malerin Käthe Rammelt-Bürger gefunden, einer Grande Dame der Zwanzigerjahre. Die Enkelin heißt Annekathrin und ist eine bekannte Schauspielerin“, erzählt Josta, der sich im Leipziger Kunstverein engagiert und die alten Leipziger Künstler wie Max Klinger, Bruno Heroux, Werner Tübke, Max Klinger und Kurt Vogler verehrt.

Vom Keller bis unters Dach

Auch das geräumige Badezimmer, in dessen großer Eckbadewanne nicht mehr gebadet wird, weil duschen einfach praktischer ist, blieb kein kunstloser Raum – dekorative Kunstblumen schmücken das Zimmer wohin das Auge blickt. Und auch im Keller stapeln sich Bilder und Steine mit vielen Geschichten, die der Hausherr aus dem Hut erzählen kann. Jetzt habe das Ganze allerdings Dimensionen angenommen, die selbst Ehefrau Ruth schmunzeln lassen, so Josta. Übersichtlich dekoriert ist es dagegen im Wohnzimmer mit den filigranen Jugendstil-Lampen und einer Art-déco-Leuchte über dem Esstisch mit Blick in den wunderschönen Garten, den ich schon im Juni besuchen durfte.

 

 

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