Kunst unterm Dach

Ein leise summender Fahrstuhl bringt mich bei 38 Grad Außentemperatur unters Dach eines Wohnhauses, das um 1912 gebaut wurde und vom Jugendstil geprägt ist. An der Tür erwartet mich Gabriela Hamm, eine freischaffende Künstlerin aus Leipzig.

Willkommen in Gabrielas Welt, die mich an eine Galerie erinnert, bei der man von einem zum anderen Bild wandelt und entzückt ist. Ich begegne Arbeiten einer lieben Freundin, der Malerin Britta Schulze, den Künstlerinnen Mona Ragy Enayat und Christl Maria Göthner, ebenso Werken von Michael Triegel, dem „Papstmaler“ aus Leipzig, und dem Künstler Ingo Regel.

Panorama-Blick in 360 Grad

Die Bewohnerin kam vor 54 Jahren in Leipzig-Schönefeld zur Welt. Zuerst lebte die Familie gemeinsam mit den Großeltern in einer Wohnung in Mockau, später zogen die Eltern mit Klein-Gabriela und ihrer drei Jahre jüngeren Schwester in eine Parterre-Wohnung mit Außentoilette. Das Kinderzimmer war neun Quadratmeter groß und das Warmwasser kam aus einem Boiler. Gabriela war 19 Jahre alt, da wurde den Eltern eine Genossenschaftswohnung in Grünau zugeteilt. „Ich blieb alleine in der Hütte, konnte endlich daheim Partys feiern und war mein eigener Herr“, erinnert sich die gelernte Facharbeiterin für Schreibtechnik.

Theater, Theater

Ihre Berufung fand sie in dem Sekretärinnen-Job allerdings nicht. 1986 kam sie über fünf Ecken in die Theaterwerkstätten der Oper Leipzig. Sie begann als Kaschierhilfe, baute Bühnenbilder und arbeitete sich in zweieinhalb Jahren hoch zum Kascheur, der mittels Styropor, Holz und Pappe die Dekorationen für die Opernaufführungen herstellt. Ihr Lieblingsmaterial ist allerdings der Ton: „Ich wäre gern Keramikerin geworden. Schon als Kind besuchte ich in einen Künstler-Zirkel. Die kleine Tonkatze unterm Schreibtisch stammt aus dieser Zeit“, erzählt sie etwas wehmütig.

Das Studium der Theaterplastik an der Hochschule für bildende Künste in Dresden blieb für sie leider ein Traum, da nur fünf Studenten pro Jahr immatrikuliert wurden. Stattdessen ging sie als Gasthörerin an die hiesige Hochschule für Grafik und Buchkunst und später an die Leipziger Hochschule für Musik und Theater. Gemeinsam mit Tischlern, Metallern, Malern und Requisiteuren arbeitet die Künstlerin bis 1999 in der fünfstöckigen Theaterwerkstatt in der Dessauer Straße. Danach wurde sie Ankleiderin im Opernhaus mit administrativen Aufgaben in der Organisation.

Film ab

Auch das Filmgeschäft interessiert sie schon lange. In Peter Sodanns Tatort mischte sie zweimal im Jahr als Kostümassistentin am Set mit. 2011 beginnt sie als Hobby-Schauspielerin am „Theatrium“, einem über 20 Jahre alten Kinder- und Jugendtheater in Leipzig-Grünau, mit dem Spielen. Als sie schwer erkrankt, muss sie ins Leben zurückfinden: „Früher funktionierte das Textlernen aus dem Effeff,  heute ist es Schwerstarbeit“, erzählt Gabriela, die am heutigen Freitag ab 19 Uhr auf dem Theatrium-Sommerfest in der Alten Salzstraße 59 live in einer Performance zu erleben ist.

Keramik, Kunst und Katzen

Ihre 100 Quadratmeter große Bleibe hoch über den Dächern der Südvorstadt fand sie Anfang der 2000er-Jahre über einen Kollegen, der schon in dem Mehrfamilienhaus wohnte. „Ich bin ohne Balkon groß geworden, deshalb stört es mich nicht, keinen zu haben. Auch die Küchennische ist für viele unvorstellbar klein – aber ich koche eh nicht“, plaudert die Katzenfreundin, die sich fürs Foto entspannt an ihren Porzellan-Geparden lehnt.

Viele ihrer Einrichtungsgegenstände sind ein liebevolles Sammelsurium von Möbeln, die von ihren Eltern stammen und von Freunden, die für diese keine Verwendung mehr hatten. Das Designerstück wie die Chaiselongue stammt aus einem Leipziger Geschäft, das schon nach der Wende existierte. Lang, lang ist’s her…

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