Schon im Flur entdecke ich jede Menge Leinwände mit figürlicher Malerei, kraftvoll und expressiv. Ich bin zu Gast bei Heide, die sich seit vier Jahren in der elften Etage eines Hochhauses im Leipziger Zentrum-Süd heimisch fühlt. Die 65 Quadratmeter große Wohnung ähnelt einem Atelier – mit Aussicht! „Der Blick ist einfach faszinierend. Als wäre ich in Rom“, sagt die 74-Jährige, lächelt und zeigt mir ihren Rundumblick auf die Karli-Magistrale, das Bundesverwaltungsgericht und die Thomaskirche.
Malerische Aussichten
Erst im Spätsommer 2011 unternahm die gebürtige Krefelderin ihre erste Reise in den Osten der Republik. Nachdem sie Görlitz, Weimar und Dresden besucht hatte, kam die Tochter einer Theaterfamilie („Ich habe Musik in den Genen, wollte aber keine Opernsängerin werden“) mit dem Zug in Leipzig an. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, schwärmt die Schauspielerin noch heute. „Ich bin einfach losgelaufen, immer geradeaus und irgendwann stand ich im Park an der Sachsenbrücke. Damals dachte ich, schade, dass ich hier nicht lebe…“, erzählt sie. Nach nur vier Monaten, diesmal im Winter, kehrt die Witwe zurück, quartierte sich in einer Ferienwohnung ein und ihr positiver Eindruck von der Messestadt mit reichlich Kultur und Bildung verstärkte sich.
Kunst und Antiquitäten
Mit einem Mietvertrag in der Tasche verließ sie Leipzig ein letztes Mal gen Westen, um ihre Siebensachen zu verstauen. Vier Wochen lang verpackte sie insgesamt 300 Kunstwerke ihres 2010 verstorbenen Ehemannes Werner Hansche, mit dem sie 47 Jahre verheiratet war. Mit nur wenigen Möbelstücken zog Heide von Düsseldorf an die Pleiße. Der Großteil der Bilder stapelt sich im dritten Zimmer, ihre Lieblingsmotive aber beleben die Wohnung und machen sie bunt. „VIK-TORIA“, ein Statement von 1983 bis zum ersten Golfkrieg, hängt in der kleinen, mit Vorhängen abgetrennten Kochnische. „Salome und Johanaan“, ein Diptychon in Acryl, erstrahlt im Wohnzimmer über dem dänischen Futton. Im Schlafzimmer, an der großen weißen Wand neben dem Bett, dominiert das Gemälde „Die Geburt des Animus“. Ein kleines Bild mit einem Hirtenjungen, entstanden 1973 in Nepal, wo das Künstlerehepaar fast zwei Jahre gelebt hat, bringt positive Energie und Leuchtkraft in den Wohnraum.
Auf einige Antiquitäten aus dem eigenen ehemaligen Geschäft in Düsseldorf, wo Werner im Hinterzimmer seine künstlerische Ader auslebte, mochte die junggebliebene 68erin auch nicht verzichten. Und so reisten die Holzhocker aus Afghanistan, der zusammenklappbare Tisch aus Tibet, die türkischen Teppiche und Kupfertabletts mit nach Leipzig.
Schönes Schlafen in 360 Grad
Wie die restliche Wohnung ist auch das Schlafzimmer spartanisch eingerichtet. Das orange gestrichene Bett steht am Fenster, umgeben von wichtigen Dingen, kleinen Skulpturen, ein paar Wörterbüchern, gelben Merk-Klebezetteln an der Wand. Das Bettzeug räumt Heide übrigens jeden Morgen in eine kleine Truhe hinter der Tür. Am kleinen Schreibtisch, den die Bewohnerin auch sommerlich orange angemalt hat, überarbeitet sie ihre Internetseite und genießt den Ausblick auf „Klein-Paris“ am Abend.
Ihr Mann war nicht nur Maler, sondern hat auch aus Alltagsgegenständen ganz zauberhafte Kunstobjekte gefertigt. Den alten Sitz einer Spielplatz-Wippe bemalte er mit einem Madonnenbild. Ein von Werner farbig gestalteter Hocker, der heute als Couchtisch dient, stammt noch aus ihrer gemeinsamen Zeit auf einem Bauernhof im Westernwald.
Die weißen Küchenschränke hat Heide mit Spiegelfolie effektvoll gestaltet, im Backofen bewahrt sie ihre Töpfe auf und das wenige Geschirr steht in einem offenen Regal. Vorm Umzug habe sie sich von allem Überfluss befreit, erzählt sie. Auch in Sachen Klamotten ist die 74-Jährige rigoros. Bevor sie Neues kauft, muss Altes raus dem Kleiderschrank, der versteckt hinter der spanischen Wand im Bilder-Aufbewahrungsraum steht, weichen. Nur die Kleider und Jacken, die ihr Gatte in den Siebzigern für sie bemalt hat, hält sie in Ehren.
Auch durfte mal bei Freunden zu DDR-Zeiten aus den oberen Etagen desöfteren den Blick über die Stadt schweifen lassen. Die Aussicht ist genial und man benötigt keine Vorhänge. Hier dürfte es sich etwa um eine Wohnung mit Innenlage gen Osten handeln. Es macht mich melancholisch, wenn ich Einrichtung und dann die Räumlichkeiten miteinander vergleiche. Die vielen, auch teilweise sehr schönen Einzelstücke hätten sicher einen wertigeren Platz verdient, als weisse Wände, Laminat und auf engstem Raum zusammenkomprimiert. In einem großen Haus oä. könnte man vieles einzeln stellen und wirken lassen. So macht es den Eindruck eines abgeschlossenen Lebens auf reduziertem Wohnraum, wo noch alle Gegenstände zwangsplatziert wurden. Es wäre bestimmt sinnvoller einen Teil der Gegenstände optisch irgendwo zu verstecken und durch Wechselhängungen die Bilder wirken zu lassen. Andernfalls würde ich das Antiquariat in der Gohliser Straße für Bilderauktion empfehlen, wenn sich die „68erin“ von den Bildern ihres Mannes trennen kann. Was mich an den Bildern begeistert hat, war einen/meinen alten grünen Fallbleistift nochmals zu sehen (Bild 30).
Kocht sie selber? Mir wäre es zu lästig, jedesmal die Herdabdecckung leerzuräumen und nach dem Kochen wieder vollzupacken. Ansonsten, wem diese Art Kunst gefällt, mir nicht.
Und es gibt sie doch: Individualität & Spiritualität im Plattenbau. Der Gegensatz zwischen den baulichen Gegebenheiten und den sehr persönlichen Gegenständen/Möbeln/Bildern ist teilweise heftig. Ob man diese Kunst mag ist zweitrangig, sämtliche Einrichtung versprüht einen ganz eigenen Reiz; erzählt vom Leben der Bewohnerin. Foto 36 ist wunderbar und schön.
@ Friseur Kleinkorte :
Sind Ihnen Minimalismus und Nachhaltigkeit in irgendeiner Weise vertraute Begriffe ???
Mit 74 Jahren in “ einem großen Haus “ zu wohnen – das kann ganz schnell zum Albtraum des Alters werden…
Weiße Wände: Ja bitte !
Vermutlich ist diese ausdruckstarke Frau Buddhistin – und somit losgelöst von materiellem Schein – Glück.
Viel Glück auf Ihrem Weg….Hier können Sie sich “ Anregungen “ holen…
@ elin Nachhaltigkeit lebe ich mein ganzes Leben bereits und meine Möbel sind wunderschöne Familienerbstücke mit über 130 Jahren Altersnachweis. Minimalismus kann man sich auch schönreden (Fabel von Äsop: Der Fuchs und die Trauben). Altersmäßig hat die Dame kaum Vorlauf. Übrigens macht es mehr Freude durch Umhängung immer wieder mal neues in Bildern zu entdecken, statt das Sammelsurium überall sichtbar abzuladen. Dies auch unabhängig davon, wenn Erinnerungen daran verbunden sind. Kann dies als Sammler von Bildern der alten und neuen Leipziger Schule nur bestätigen. Ich freue mich auf den 11.02.17 im Bildermuseum bei Nolde. Man sieht sich (vielleicht).
@ peterle
vielen Dank für das ‚wunderbare und schöne‘ Kompliment …..
@ elin
Sie haben mich ‚erkannt‘. Sind wir uns schon einmal begegnet?
LG