„Buongiorno“ heißt es diesmal im Leipziger Zentrum: Ich besuche Tommaso Graiff in einer kleinen Altbauwohnung, die er sich seit zwei Wochen mit seiner Schwester teilt. Unerwartet setzt sich der 23-Jährige ans Piano und spielt Beethoven – passend zum 250. Geburtstag des Komponisten. „Nichts Titanisches wie seine ‚Neunte‘, aber hören Sie selbst“, bemerkt er und zaubert mit seinen Händen auf der Klaviatur etwas Wundervolles, das zu Herzen geht.
Ein Italiener in Leipzig
Tommaso Graiff, dessen Familienname seit dem 15. Jahrhundert belegt sei, wuchsmit zwei Geschwistern in der norditalienischen Stadt Trient auf. Mit zwölf Jahren habe er sich mit Richard Wagner beschäftigt und sein Deutsch verbessert. Die Liebe zur Musik liegt in der Familie: Der Großvater spielte in einer Piano-Bar und leitete die Dorfkapelle. Und auch sein Vater, der bis vor Kurzem als Arzt praktizierte, beherrscht das Tasteninstrument vorzüglich. Mit 18 Jahren ging der Sohn mit einem glatten Einser-Abi nach Deutschland, belegte an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ das Fach Soloklavier. „Meine Leidenschaft gilt auch der Sprache und Literatur“, sagt er. Deshalb studiert er momentan an der Universität Leipzig Musikwissenschaft und klassische Philologie, um sich so die Basis für eine eventuelle akademische Karriere zu legen.
Musik ist sein Leben
Das erste Jahr in der Messestadt lebte der junge Italiener im Studentenwohnheim in einem Einzimmerappartement, in dem sich das Proben allerdings recht schwierig gestaltete. Eine neue Bleibe musste also her. Sein jetziger 30 Quadratmeter großer Raum ist Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer zugleich. Das Klavier steht unweit von Tisch und Bett entfernt, und es gibt genug Platz, um gemeinsam mit anderen Absolventen für Konzerte zu üben. „Meine Nachbarn mögen mich“, lächelt Tommaso, der auch leidenschaftlich gerne kocht. Nebenan in der mediterranen Küche köchelt ein römisch-neapolitanisches Gericht im Topf, das er am Abend seinen Freunden anbieten wird.
Hausgott an der Wand
Bei seinem letzten Heimatbesuch in den Südtiroler Bergen hat er Tierdrucke in einem Karton entdeckt, die sein Großvater in der Toskana gekauft und ihm vor vielen Jahren geschenkt hat. Die hängen jetzt schön eingerahmt über dem Sofa. Das Plakat von einer Ausstellung in Amsterdam stammt von seinen Eltern und ein Porträt des Komponisten, Pianisten und Theaterleiters Franz Liszt hängt an die Wand: „Er ist ein Hausgott für mich.“
Alte Möbel mit Historie
Derweil sitzen wir an einem alten runden Tisch, der auch viele wunderbare Geschichten erzählen könnte. Das hölzerne Möbelstück stand früher mit den gut erhaltenen Stühlen in einer kleinen italienischen Arzt-Wohnung und wurde von den Eltern mit dem Auto nach Leipzig transportiert. Die schwere antike Kommode, die sperrangelweit offensteht und so einen Blick auf seine Bücher freigibt, wurde in der Südvorstadt bei einem privaten Verkäufer gefunden und eigenhändig mit einem Freund nach Hause geschleppt. Ein Notenständer, auf dem auch Kerzen angebracht werden können, dient ebenfalls als Einrichtungsgegenstand.
Sonntag live im Schlösschen
Neben seiner internationalen Konzerttätigkeit engagiert sich Tommy, wie er von Freunden genannt wird, als Stipendiat des Vereins „Yehudi Menuhin Live Music Now“. Während der Corona-Pandemie spielte er im Hof eines Leipziger Seniorenheimes und erfreute die Hausbewohner mit italienischen Arien. Wer den Künstler einmal live erleben möchte, ist herzlich am Sonntag, dem 20. September, um 15 Uhr ins Gohliser Schlösschen eingeladen. Gemeinsam mit der Schauspielerin Sibylle Kuhne bringt der Pianist ein unterhaltsames Klinger-Asenijeff-Beethoven-Programm auf die Bühne.