Seit fast sechs Jahren bin ich in Leipzig als Wohnbloggerin unterwegs – doch in dieser Woche durfte ich erstmals ins Wintergartenhochhaus am Leipziger Hauptbahnhof hineinschnuppern. Premiere! Seit Anfang der 1970er-Jahre ist der Turm ein Wahrzeichen der Messestadt. Das markante Gebäude war einst das höchste Wohnhaus der ehemaligen DDR – samt Leuchtreklame ragt es stolze 106,8 Meter in den Himmel. Unterm strahlenden Doppel-M, das sich in alle Himmelsrichtungen dreht, liegen 26 Wohnetagen. In der 13. wohnt seit fast 50 Jahren Oma Kreft, die mich vor Kurzem in ihre vier Wände einlud und mir meine neugierigen Fragen geduldig beantwortete.
Wohnen im Hochhaus
Die 94-Jährige ist schon lange Zeit verwitwet, hat zwei Töchter großgezogen und ist inzwischen dreifache Ur-Großmutter. Die Kinder rufen sie jeden Tag an – das erfreut ihr Herz. Als Heranwachsende wohnte die gebürtige Leipzigerin mit ihren Eltern in der Körnerstraße, mit Kohleofen und wenig Luxus. Anfang der siebziger Jahre hatte die gemeinsam mit ihrem Ehemann, der als Gebrauchsgrafiker arbeitete, die Chance, mitten in die Stadt ins begehrte Wintergartenhochhaus zu ziehen. „Es war ein Wohnungstausch und wir hatten Glück, eine solche Rarität zu bekommen“, erzählt die Rentnerin mit Blick auf den Hauptbahnhof. Zu der Zeit gab es eine HO-Kaufhalle und das Restaurant „Stadt Dresden“ im Gebäudekomplex, erinnert sich die rüstige Dame. Heute gibt es in den unteren Stockwerken Arztpraxen, Friseur und Kosmetik sowie einen Verein, der sich um die älteren Bewohner kümmert.
Sonntagsspaziergänge
Und dann ist da noch ein guter Freund, mit dem sie jeden Sonntag um die Häuser zieht. „Eigentlich freuen wir uns die ganze Woche auf diesen einen Tag“, sind sich die beiden einig. Oma Kreft ist trotz ihres fortgeschrittenen Alters so fit, dass sie lediglich einen Stock zum Laufen braucht. Aber sonntags schnappt sie sich ihren Bekannten, hakt sich bei ihm ein und gemeinsam schreiten sie zum Gottesdienst in die Nikolaikirche oder seit letzter Zeit immer öfter in die neue, helle Universitätskirche.
Bei schönem Wetter werden die Spaziergänge auch mal länger und ausgedehnter. Aber für einen schönen Ausblick muss die Seniorin nicht vor die Tür gehen: Von ihrem Balkon im 13. Stock wirken Autos, Bäume und Menschen wie Miniaturen. Sie habe hier viel erlebt – auch die friedliche Revolution, und das hautnah aus der Vogelperspektive. Jeden Montag liefen Tausende Menschen über den Ring. Es lag ein Knistern in der Luft und alle hofften, dass die Proteste ohne Gewalt über die Bühne gehen würden.
Balkonblicke
An den bereits jetzt schon kühlen Abenden zieht sich die alte Dame zurück vom Balkon ins Wohnzimmer an den originalen Hellerauer Tisch aus den 1960er-Jahren. Dann greift sie zu einem Werk aus der Inselbücher-Sammlung ihres verstorbenen Mannes oder sieht sich Kalenderblätter an, die ein Enkelsohn extra für sie gestaltet hat. Auch die kunstvollen Puppen auf der Anrichte sind handgemacht. Eine Enkelin sei Maskenbildnerin, erzählt sie mit viel Liebe in den Augen. Das Aquarell an der Wand hat übrigens ihr Ehemann gemalt – eine Leipziger Stadtansicht mit der Thomaskirche. Gern hört Oma Kreft auch Musik. In den Regalen finden sich unzählige Musikkassetten und Videos. „Hauptsache klassische!“
Als ich die Wohnung verlasse, fällt mir noch ein kleines Tischchen mit Mosaiksteinchen im Flur auf. „Ja, das habe ich selber gebaut“, sagt sie voller Bescheidenheit.
Meine Hochachtung. Oma Kreft wünsche ich weiterhin alles Gute und viel Gesundheit!
Was für eine goldige Omi 🙂
Endlich eine authentische Wohnung. Viel Freude an den sonntäglichen Spaziergängen👵🏻👴🏻 Und alles Gute für Sie !
Lange danach gesucht, liebe Jasmine.
Jawohl, endlich mal authentisch und herzwärmend. Alles Gute der Frau Kreft.