Runter vom Sofa, raus ins Grüne: Mein Weg führt mich in dieser Woche nach Nordsachsen ins Heidedorf Ochsensaal. Seit vier Jahren lebt die Leipziger Künstlerin Heinke Binder in einem ehemaligen Schulgebäude, das mindestens 150 Jahre auf dem Buckel hat. An einem so historischen Ort zu wohnen, sei eine echte Herausforderung. „Aber ich habe keine Minute bereut, hierhergekommen zu sein“, sagt die 57-jährige gebürtige Hallenserin.
Von Bürgel zur Burg
Anfang der Achtzigerjahre absolvierte sie eine Scheibendreherausbildung in den traditionsreichen keramischen Bürgel-Werkstätten in Thüringen. Danach ging’s auf die Burg Giebichenstein zum Studium an die Hochschule für Kunst und Design. Als Bildhauerin ist sie seit 1987 freischaffend unterwegs, und wegen ihrer beiden Töchter war Leipzig als Wohn- und Arbeitsort lange Zeit gesetzt. Im Sommer 1990 macht die Alleinerziehende einen Ausflug in die Dahlener Heide. „Als ich mit dem Kinderwagen auf der Birnbaumallee dieses Haus von Weitem sah, dachte ich nur: Es gibt ja schöne Orte auf der Welt“, erzählt sie mit verträumtem Blick.
Entdeckung in der Heide
20 Jahre später – sie ist im Nachbarort bei einer befreundeten Künstlerin zu Gast – schwingt sie sich kurzerhand aufs Fahrrad, um zu sehen, ob es dieses schöne Fleckchen Erde noch gibt. Und was für ein Zufall! Im Fenster lag ein kleines Zettelchen, auf dem stand: „zu verkaufen“. Ein halbes Jahr nimmt sie sich Zeit, um eine Entscheidung für ihre Zukunft zu treffen. Mit dem Um- und Ausbau von Häusern kennt sie sich aus, schließlich hatte sie in Leipzig-Connewitz und auch in Möckern Werkstätten, bei denen sie ebenfalls richtig Hand anlegen musste. Dass Keramikerinnen nicht zimperlich sein dürfen, hatte ich bereits bei meinem Hausbesuch ihrer geschätzten Kollegin Marie Helbig erfahren.
Leben auf der Baustelle
Lange Zeit sei sie „in der Bausuppe abgesoffen“, sagt sie. Zwei Jahre lang habe sie ohne Strom und ohne fließend Wasser überlebt. Zum Baden ging es im Sommer in den Dammühlenteich und im Winter zu Freunden zum Duschen, abends sorgten Kerzen für eine heimelige Atmosphäre in der Bleibe. Das Dach und der Fußboden mussten erneuert werden, das Haus hatte lange leer gestanden. In das ehemalige Klassenzimmer mit dem alten Kachelofen, an dem sie im Winter gerne auf einem Lammfell Platz nimmt, ist jetzt ihre Werkstatt. Ein herrliches Sammelsurium an Arbeitsmitteln gibt es hier zu bestaunen, kleine Maschinen, Schränke und ihre Charakterköpfe aus Ton, die mich von überall aus bei meiner fotografischen Arbeit beobachten.
Wohnen mit Geschichte
Die Bewohnerin freut sich über jeden Baufortschritt in dem denkmalgeschützten Haus von 1870. „Als nächstes kommt die Veranda dran, angrenzend an die Küche, damit die heller wird“, erzählt Heinke, während wir im gemütlichen Wohnzimmer stehen. Auf dem Kachelofen, der momentan abends noch geheizt wird, steht ein Fuchs aus Ton. „Ich liebe Tiere, die eine Eigenart besitzen“, meint die Kunstschaffende. Ihren Kater Mister Bennett bekomme ich nicht zu Gesicht, der streunt lieber draußen herum. Idyllisch ist auch der neu angelegte Rosengarten mit Blick auf das natürliche Grün hinterm Haus. Hier fühlen sich nicht nur ihre Skulpturen wohl, auch Bienen und Insekten sind willkommen.
Rosen, Tulpen und Köpfe
„Wenn ich zehn Minuten in Leipzig bin, habe ich schon wieder Sehnsucht nach meiner Birke und will zurück“, sinniert Heinke auf der Gartenbank. Am 28. April macht sie sich dennoch auf den Weg in die circa 50 Kilometer entfernte Pleißestadt. Der Frühjahrsrundgang der Spinnerei-Galerien ruft und die in Deutschland einmalige Keramikgalerie terra rossa, deren Domizil am Leipziger Roßplatz zu finden ist, zeigt ihre Arbeiten im Tapetenwerk. Da dürfen die Porträtköpfe von Heinke Binder nicht fehlen. Persönlich schaut die Künstlerin am Sonntag von 11 bis 17 Uhr im Haus D des Ateliers von Studiolux vorbei!
Sehr sympathisch die Dame. Erinnert mich an Wohnen in südlichen Ländern, wo das Leben mehr zählt als die wohnliche Gestaltung. Es kann noch viel Arbeit drin stecken und durch eine Person in diesem Leben wohl noch kaum zu schaffen. Man kann nur hoffen, dass ausreichend Geld für weiteres Material reicht. Viel Glück bei allen weiteren Vorhaben.
Liebe Heinke,
ist das schön! Herrlich!! Ich schau hier oft rein und kann den meisten „Wohnträumen“ nicht so viel abgewinnen. Ich freu mich, dass die Menschen sich so wohl fühlen, dass sie ihr zu Hause gerne via Veröffentlichung teilen möchten, kann mir selbst aber selten vorstellen, darin zu leben. Bei deinem Fleckchen Erde ist das anders. Wie schön auch, dass die Liebe schon so alt ist und du das Häuschen samt dem schönen Drumherum dann wieder entdeckt hast…ihr gehört zusammen, so sollte es kommen. Alles Gute für dich und deine Kunst! Ich hör die Birke direkt rauschen beim Anblick der Bilder.
endlich mal ein sehenswerter beitrag!
Ich bin bisher auf dieser Seite nur kommentarlos unterwegs gewesen, habe mich (mal mehr und mal weniger) an den (selbst-)dargestellten Wohn(t)räumen erfreut und mir meine eigenen Gedanken zum Gesehenen gemacht. Aber Heinke muss ich heute einen persönlichen Kommentar zukommen lassen, den zu bemerkenswert empfinde ich ihr “grünes Wohnzimmer in der Heide“. Wunderbar! Wunderschön! Glanzvoll! Ihr weiterhin unerschöpfliche Tatkraft und positive Energie für diese Lebensaufgabe gewünscht.
Wirklich sehr schön !
Sehr schön! Viel Arbeit, lohnenswert!
Nicht zu viel und nicht zu wenig!
Danke für diesen schönen Ort!!!