Von seinem Küchenfenster aus kann Gregor Hering häufig Passanten beobachten, die stehen bleiben und die bröckelnde Fassade seines Heims mit abschätzigen Blicken mustern. Er will das nicht verurteilen. „Wenn man so von außen vorbei geht, denkt man vielleicht, dass das Haus dem Verfall überlassen wird.“ Doch der Eindruck täuscht. In Wirklichkeit erhalten der 30-Jährige und die anderen Nutzer den Altbau gegenüber dem Plagwitzer Bahnhof. Und sie sind gerne dort.
Lange Jahre stand der Gründerzeitbau leer, bevor er 2006 zum Wächterhaus-Projekt wurde. Seitdem haben mehrere Künstler im Gebäude Ateliers eingerichtet. Es gibt zwei Tonstudios, eine Seifensiederei und einen Veranstaltungsraum. Außerdem leben Gregor und seine vier Mitbewohner in dem Haus. Aller Nutzer müssen für ihre Räume nur ein geringes Entgelt entrichten. Gregor, der seit 2010 hier wohnt, bezahlt pro Monat 110 Euro Miete. Das ist selbst für Leipziger Verhältnisse wenig.
Möglich gemacht hat das der HausHalten e.V.. Seit acht Jahren setzt sich der Verein bei Eigentümern von leerstehenden, aber städtebaulich wertvollen Wohnblocks dafür ein, dass sie ihre Häuser in die Hände von Hauswächtern legen. Die können dann in der Regel fünf Jahre lang bleiben – so lange, bis die Immobilien saniert oder verkauft werden sollen. Aufgabe der Wächter ist es, die Gebäude vor Vandalismus und Schäden zu schützen, die oft entstehen, wenn nicht geheizt und nicht gelüftet wird.
Ein paar Abstriche beim Wohnkomfort muss Gregor für die geringe Miete in Kauf nehmen. Statt Heizkörper gibt es hier nur Kohleöfen. Beim Einzug war es mit Malern der Zimmerwände nicht getan. Der Wandputz musste ausgebessert und der Dielenfußboden neu geölt werden. Dem 30-Jährigen machte das allerdings nichts aus. Durch sein Geigenbau-Studium war er handwerkliches Arbeiten gewohnt. „Um Strom, Warmwasser und benutzbare Bäder hatten sich meine Vorgänger zum Glück schon gekümmert. Außerdem war das Haus nach dem Leerstand in einem relativ guten Zustand. Jemand hatte zwar im Treppenhaus das Geländer heraus gesägt, aber ansonsten fehlte nichts“, erzählt er. Die Handläufe haben die Hauswächter mit Dachlatten provisorisch wiederhergestellt.
Die geringen Kosten sind allerdings nicht der einzige Grund, warum Gregor sein Domizil gern hat. Neben seinen Mitbewohnern gefällt ihm vor allem die Atmosphäre des Hauses. „Hier weht noch ein Wind aus der Vergangenheit durch die Räume“, beschreibt er. Bei der Reparatur seiner Zimmerwände ist er auf alte Wandmalereien gestoßen: Rankenbänder, die sich an den Bodenleisten und Türrahmen entlangziehen. Die Fenster im Treppenhaus wurden nie ersetzt, sie tragen noch die eingeätzten Glasmuster. „Man hat hier so ein Gefühl von Freiraum“, sagt er. Das Unperfekte, Unfertige lasse ihm Raum für Phantasien, wie die Zukunft des Gebäudes aussehen könnte.
Text: Clemens Haug
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Wow, hat sich nicht viel geändert. Das Haus ist wirklich was besonderes, wenn ich daran denke was wir dort als Kinder erlebt haben.
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Respekt den Mietern!
schaurig schön , so würde ich auch gerne eine Zeit lang wohnen ….
Der eigentliche Charakter macht den größten Schatz eines alten Hauses aus.
Hoffentlich wird nicht später einmal alles kaputt saniert.
Ein altes Haus sollte man nicht versuchen von Grund auf zu erneuern, sondern es wieder zu sich selbst führen. Mit Liebe zum vorgefundenen, die Spuren der Vergangenheit lebendig erhalten.