Das alte Gasthaus auf dem Lande

Hausbesuch bei Kerstin (Foto: Regina Katzer)

Mich hat mal wieder die Landlust gepackt: Mein Weg führt mich in dieser Woche vor die Tore Leipzigs, in die Nähe von Krostitz. Im ehemaligen Gasthof des Dorfes wurde bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag 1987 getanzt, gefeiert und vor allem gespeist. Seit knapp sieben Jahren wohnt die Familie Mumm mit drei Kindern, einem Hund und nunmehr auch zwei Katzen in einem 300 Jahre alten umgebauten Lehmhaus – früher eine Institution im Ort.

Spuren längst vergangener Zeiten

Ein wenig ehrfürchtig betrete ich das alte Gemäuer, das von dem Ehepaar eigenhändig saniert wurde. „Wir haben Dutzende Zementsäcke geschleppt, Decken gespachtelt, Fußböden aufbereitet und Fensterbretter eingebaut. Irgendwann konnte ich keine Bohrgeräusche mehr hören…“, erzählt Kerstin Mumm, die gerne selbst anpackt und Neues ausprobiert.

Nach ihrem Fachschulstudium zur Heimerzieherin betreute die gebürtige Leipzigerin ein paar Jahre lang schwererziehbare Jugendliche. Mit Mitte 20 entdeckte sie dann ihr Faible fürs Einrichten. Damals gestaltete sie fremde Büros um, heute möbelt die Geschäftsfrau, Mutter und Ehegattin ihr gemütliches Zuhause auf. Nach einem Ausflug ins Regionalfernsehen, einem Saisonjob als Taxifahrerin durch die Schweizer Berge und einem Abstecher in die Fotografie, ist sie heute nach einer kaufmännischen Ausbildung in der Immobilienbranche tätig. Ihr pädagogisches Geschick und ihre Fähigkeit, Menschen zu motivieren, stellt sie zwei Mal jährlich bei einer Bildungsagentur unter Beweis. Ihr großes Herz schenkt sie Langzeitarbeitslosen, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie macht ihnen Mut und gibt ihnen Tipps für eine erfolgreiche Bewerbung.

Dass sie eine Macherin ist, sehe ich auf jedem einzelnen Quadratmeter des dreigeschossigen Hauses. Im Erdgeschoss des traditionsreichen Ex-Gasthofes befindet sich heute linkerhand das großzügige Esszimmer der Familie, die gern Gäste empfängt und bewirtet.

Lehmhaus mit Charme

„Ich mag Möbel, die ein Alleinstellungsmerkmal besitzen, Brüche, Licht und Raum“, betont die 52-Jährige. Einrichtungskataloge brauche sie nicht, allein ihr Gespür für schönes Wohnen zeige ihr den Weg. Der Betonboden und der Mix aus neuen und alten Möbel fügen sich zu einem Ganzen zusammen. Retro-Hängelampen, Bilder an der Wand und eine große Pflanze als Raumteiler zur Ecke mit grünem, neu gepolstertem Kanapee, Sideboard, Fernseher und einem Holzofen machen den alten Gastraum zur lauschigen Oase für die ganze Familie. Dass die 70 Zentimeter dicken Wände schief und krumm sind, gehört zum Charakter des Hauses. In der alten, umfunktionierten Gastro-Küche wird jeden Abend gekocht. Die dreifache Mutter schätzt ihr modernes Küchenparadies mit den Einbauschränken und das tiefe Fensterbrett, auf dem sie frisches Obst und ihre Einkäufe lagern kann.

Raum und Licht

Das Obergeschoss des Hauses, wo heute Familie Mumm mit ihren beiden Nacktkatzen Yoda und Nami sowie Vizsla-Hund Bala wohnt, war früher der Tanzsaal der Dorfgemeinschaft, aber auch Jugendweihen wurden hier zelebriert. Um die Decke zu stabilisieren, wurden wie im Untergeschoss Holzbalken nachträglich eingebaut, die die beiden felllosen Vierbeiner als Kratzbaum nutzen. Die alten Schränke aus Weichholz stammen vom Ehemann, einem gebürtigen Augsburger, der auch gern einmal am E-Piano in die Tasten haut. Der einstige Tanzboden wurde mit Holzdielen begradigt, die Türen samt Rahmen mussten allesamt individuell eingepasst werden, weil es das alte Haus einfach notwendig macht. Die Zimmer der drei Kinder im Alter von 14,15 und 16 Jahren befinden sich auf der dritten Etage. Der ehemalige Dachboden wurde zur Galerie für die zwei Töchter und den Sohn ausgebaut.

Speisen mit Genuss

Upcycling

Das Hauptbad besticht durch eine Badewanne mit Holzpodest, einem frisierten Schränkchen aus den 1950er-Jahren und viel Platz zur Körperpflege. Beim Blick ins Schlafzimmer entdecke ich Kerstins erstes Upcycling-Kleid. Mit der Wiederverwertung von scheinbar nutzlosen Dingen beschäftigt sie sich schon eine ganze Zeit lang. Die weißen Plastiksessel im Eingangsbereich (alte Sitzschalen, die auf Baumstämmen befestigt sind) zeugen von ihrer Kreativität. Für alle, die sich für ganz individuelle Haus-Styling-Tipps und Einrichtungstrends interessieren, gibt die Fachfrau im Frühjahr Workshops.

 

Ehemaliger Tanzsaal in 360 Grad

15 Gedanken zu „Das alte Gasthaus auf dem Lande“

  1. Bei allem nötigen Respekt.. aber ich gehe davon aus. Wir denken alle das Gleiche.
    Schöner Hund.
    Bild 35 ist auch schön.

  2. Sehr schöner Ansatz und eigentlich genau meine damalige Bausubstanz, wenn es um die Sanierung von Altbauten ging. Irgendwie wirkt trotzdem nach 7 Jahren alles noch halbfertig und experimentell (Gastraumstützen im Erdgeschoß mit langen offenen Trocknungsrissen, Badewannenumrandung aus aufgestapelten Schwellen, offene Fugen an der Treppenhauswange infolge fehlenden Geländers (Bild 3), roter/schwarzer Kanonenofen). Sich einfach mal die 12’er Holzstützen im Erdgeschoß als alte runde Gusseisenstützen vorstellen, weil damit die massiven Ziegelstolpersockel (Bilder 11/14) entfallen könnten. Das Zimmer würde ganz anders wirken. Noch viel Arbeit und viel Spaß dabei.
    Was mit gut gefiel, ist die Vielzahl von Bildern, wie der Mattheuer Radierung (Bild 6) oder das Bild neben dem Fernseher in Anlehnung an die derzeitige Duckomenta im Stadtgeschichtlichen Museum. Link bitte dazu selber raussuchen. Der Hund ist toll.
    Schönes WE.

  3. …genau dafür lieben wir unser Haus. Unvollendet, wie wir auch, mit vielen Möglichkeiten dem Totsanieren aus dem Weg zu gehen und Kreativität frei zu lassen, wenn sie kommt und nicht wenn es ein anderer erwartet. Deshalb lebt und bewegt sich das Haus, hat Risse, Ecken und Kanten und wird mit sehr viel Leben gefüllt. 🙂

  4. Es freut mich immer wieder zu sehen, dass es Menschen gibt, welche sich auf die Reise durch alte Gemäuer begeben und mit viel Fleiß und Ideenreichtum diesem neues Leben schenken. Ihr habt es geschafft, bis ins Detail, Alt und Neu zu verbinden. Das ist echt eine Kunst. Wie schnell ist heutzutage so manches weggeworfen. Ihr seid ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Mein größter Respekt.

  5. Auf jeden Fall ein echtes Highlight der Reihe. Ich bin sehr beeindruckt und finde dieses Domizil fantastisch.

  6. Preussensgloria, ich kann mich nur anschließen, der Hingucker ist der Hund. Alles andere ist sehr gewöhnungsbedürftig.

  7. Hallo ich,

    da frage ich mich jetzt ernsthaft, was Sie hier sehen wollen…

    Zeigen Sie mir doch mal Ihre vier Wände, dann kann ich Ihren Anspruch vielleicht verstehen.

    MfG
    Die Bloggerin

  8. Oh mein Gott. Das sind ja gruslige Katzen. Sorry. Die Wohnung leblos, wem das gefällt, aber diese Katzen. Puh.

  9. So lebt also die Konkurrenz meiner Makler-Mutter. 🙂 Coole Wohnung. Endlich mal etwas Kunst an den Wänden, schöne 50/60er Zitate durch die Möbelfüße und die grüne Couch ist voll mein Ding. Die halb-freistehende Badewanne ist ein echtes Highlight. An den weißen Schalen-Essstühlen habe ich mich mittlerweile satt gesehen. Die dreibeinigen Varianten stehen nahezu überall in allen Preisklassen. Die Kombi aus Hocker und Sitzschale finde ich allerdings sehr gelungen. Die Küche ist noch etwas blass, da könnte etwas mehr „Kochleben“ rein. Das ist allerdings ein subjektiver Anspruch eines Menschen, der täglich kocht.

    Insgesamt eine sehr „rund“ eingerichtete Wohnung. Mir gefällt’s.

  10. Für mich eine der interessantesten Reportagen hier. Nicht nur aus der Sicht – so hätte es auch bei uns werden können – ich hatte ebenfalls einen sehr alten Gasthof besessen, aber nach vielen Beratungen die Hände von der Sanierung gelassen, sondern abgerissen und neu gebaut.

    Trotzdem – mein Herz hängt an alten Gemäuern und wenn ich sowas sehe, geht mir einfach das Herz auf.

  11. Ich stimme Dir zu Karo. Es ist wirklich eine Herausforderung die einen manchmal an Grenzen bringt. Zum Beispiel haben wir auch ewig keinen Maler gefunden weil die Oberflächen an den Wänden gewaschen sind und die Decken beabsichtigt grob gespachtelt wurden. Die haben sich da nicht so wirklich rangetraut. Wir würden es aber wieder machen, wenn dieses dann endlich mal fertig wird.

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