Willkommen auf Leipzigs Insel – ich bin diesmal im schönen Schleußig unterwegs, einem Stadtteil im Südwesten, der von der Weißen Elster und dem Elsterflutbett umschlossen wird. In einer Doppelhaushälfte aus den 1930er-Jahren, der dem Bauhausstil sehr ähnlich ist, empfängt mich Keramikerin Marie Helbig an einem frostigen Januartag.
Die 66-jährige gelernte Gebrauchswerberin, die einst im Centrum-Warenhaus die Schaufenster dekorierte, lebt seit 1984 gemeinsam mit Ehemann Peter in dessen Geburtshaus. Wo heute der Elektro-Ofen steht, befand sich einst der Kohlenkeller. In unzähligen Arbeitsstunden wurde das Untergeschoss zur Werkstatt mit zwei Räumen umgebaut – sämtliche Fliesen habe sie übrigens selber gelegt, erzählt die Kunsthandwerkerin in einem Nebensatz. „Als Keramikerin darfst du nicht aus Pappmaché sein“, fügt sie hinzu.
Rundgang durch Werkstatt und Garten
Von 1979 bis 1982 studierte sie Gefäßgestaltung in Heiligendamm, wo auch ihr Sohn zur Welt kam. Eigentlich wäre sie gerne an der Ostsee geblieben, aber ihr Weg führte sie zurück nach Leipzig. In einem Designerbüro entwarf sie bis 1990 Repräsentativleuchten, die noch heute im Pub des Berliner Grand Hotels zu finden sind. Die Wendezeit veränderte dann auch das Leben der zweifachen Mutter, die als 15-Jährige im Keller einer ehemaligen Leipziger Hefefabrik ihren ersten Keramik-Kurs besucht hatte. „Mit Ton wollte ich schon immer arbeiten“, plaudert Marie, die seit sechs Jahren auch Oma ist und montags immer einen Enkeltag einlegt.
Garten der Sinne
Ihre Liebe zur Natürlichkeit spiegelt sich nicht nur in den von ihr geschaffenen Objekten mit dekorativem Wert wider, sondern auch in ihrem Lebens- und Wohnraum, den sie seit 43 Jahren mit ihrem Ehemann teilt. Ein Ort der Sinne und des Rückzugs ist der Garten mit Vogeltränken aus Ton samt der alten Werkbank, auf der ein Kopf mit einem Riesenriecher steht, sowie der gemütlichen Sitzecke mit einer alten Reichsbahnlampe, die als Deko dient.
Rauchbrandkeramik
Fasziniert stehe ich vor einem aufgestapelten Ziegelhaufen auf der Wiese. Hier entfacht Marie mehrmals im Jahr einen Sägemehlbrand, um ihre einzigartige Rauchbrandkeramik mit Pflanzenabbildungen in Schwarz-Weiß entstehen zu lassen. Eine andere, neue Methode, die Marie fasziniere, sei die sogenannte Stocktechnik: Mittels eines Rundstockes formt sie Tonrollen zu unzähligen Varianten mit einem immer überraschendem Ergebnis. „Ich liebe diese Technik, denn jede Vase ist anders – ich lasse dem Ton seinen Charakter, bin mit offenen Augen dabei und schaue, was passiert“, schwärmt Marie von ihrer Arbeit.
Ihre Arbeiten sind allesamt Unikate – erhältlich in der Keramikgalerie des Kunstvereins „terra rossa“ am Roßplatz 12 in Leipzig. „Die Galerie ist ein Schatz“, betont Marie, die seit 2007 aktives Vereinsmitglied ist und den Ort ihre zweite Heimat nennt. Mit Leib und Seele seien alle dabei und jede Arbeit habe ihre ganz individuelle Geschichte. Von der Tasse bis zur Skulptur: Die Aussteller sind auch Produzenten der verkäuflichen Keramikprodukte.
Steinzeug und schöne Dinge
Ihre eigenen Lieblingsstücke und die von befreundeten Kollegen hat Marie dekorativ in ihren eigenen vier Wänden auf einem Schrank platziert, der aus einer früheren Druckerei in Borsdorf stammt und nur 280 Ostmark kostete. Das wuchtige Eichenmöbel, das aus sechs Einzelschränken bestand, wurde auseinander genommen und auf mehrere Zimmer verteilt.
Marie und ihr Mann Peter, der viele Geschichten auf seinen organisierten Spaziergängen durch Schleußig erzählen kann, sind auch Familienmenschen – oft wird im gemütlichen Wohnzimmer mit Freunden gemeinsam gegessen und gespielt. Im Regal stehen zahlreiche Brettspiele für Erwachsene, aber auch Dixit, Werwolf und Memory für die kleine Enkeltochter.
Mit einem letzten Blick auf eine Ringelblume, die trotz Kälte im Vorgarten des zweistöckigen Hauses blüht, verabschiede ich mich von meinen herzlichen Gastgebern.